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Nodes statt Codezeilen: Wie No-/Low-Code-Plattformen das Programmieren revolutionieren

Aug 13, 2025 5:08:25 PM

Digitalisierung ist längst kein optionales Zukunftsthema mehr. Doch während große Unternehmen oft eigene IT-Abteilungen oder umfangreiche Budgets für Digitalprojekte haben, stehen gerade kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie kommunale Verwaltungen vor ganz anderen Voraussetzungen: Knappe Ressourcen, Fachkräftemangel und hohe Anforderungen an Flexibilität. No-/Low-Code-Plattformen bieten hierfür einen vielversprechenden Ansatz. In diesem Beitrag zeigen wir, was No-/Low-Code genau bedeutet, wie KMU und öffentliche Verwaltungen konkret davon profitieren können und welche Erfolgsfaktoren bei der Einführung eine Rolle spielen.

Was sind No-/Low-Code-Plattformen?

No-/Low-Code-Plattformen ermöglichen die Entwicklung von Softwareanwendungen mit minimalem Programmieraufwand. Statt komplexem Code werden grafische Benutzeroberflächen, Drag-and-Drop-Funktionalitäten und wiederverwendbare Module genutzt (Nodes). Auch Mitarbeitende ohne tiefgehende IT-Kenntnisse – sogenannte „Citizen Developer“ – können damit eigenständig digitale Lösungen erstellen oder bestehende Anwendungen anpassen.

No-/Low-Code-Plattformen sind wie Baukästen für Software. Anstatt jede Funktion per Hand zu programmieren, bekommt man fertige Bausteine: Formulare, Tabellen, Buttons, Workflows und setzt diese per Drag-and-Drop zu einer eigenen Anwendung zusammen.

  • Low-Code bedeutet: Die meisten Dinge lassen sich visuell zusammenklicken, für spezielle Funktionen kann man bei Bedarf aber trotzdem kleine Programmteile einfügen
  • No-Code bedeutet: Alles wird komplett ohne Code umgesetzt – ideal für einfache Anwendungen, bei denen keine Sonderlogik oder komplexe Schnittstellen nötig sind

Warum sind No-/Low-Code-Plattformen für KMU besonders attraktiv?

KMU stehen oft vor typischen Herausforderungen:

  • Begrenzte IT-Ressourcen: Fachkräftemangel, kleine IT-Teams und externe Abhängigkeiten bremsen Innovationen
  • Hohes Tempo des Wandels: Märkte, Kundenanforderungen und gesetzliche Rahmenbedingungen verändern sich rasant
  • Wunsch nach individueller Digitalisierung: Standardsoftware passt oft nicht zu den spezifischen Prozessen kleinerer Unternehmen

No-/Low-Code-Plattformen können hierfür praxisnahe Antworten liefern:

1. Schnellere Umsetzung digitaler Lösungen

Durch visuelle Entwicklung und modulare Bausteine lassen sich Anwendungen bis zu 10-mal schneller erstellen als mit klassischer Programmierung. Das verkürzt Projektlaufzeiten, reduziert Time-to-Market und erhöht die Agilität im Unternehmen.

2. Geringere Entwicklungskosten

Die Wiederverwendung von Komponenten, die Reduktion externer Dienstleister und der geringere Programmieraufwand senken die Gesamtkosten der Softwareentwicklung deutlich.

3. Stärkere Einbindung der Fachabteilungen

No-/Low-Code-Ansätze fördern die Zusammenarbeit zwischen IT und Fachbereichen. Mitarbeitende aus Vertrieb, Logistik oder HR können eigene Ideen umsetzen oder direkt am Entwicklungsprozess mitwirken, ohne sich in komplexe Programmiersprachen einzuarbeiten.

4. Flexibilität bei sich ändernden Anforderungen

No-/Low-Code-Plattformen ermöglichen eine schnelle Anpassung an neue Gegebenheiten – sei es durch gesetzliche Vorgaben, neue Geschäftsmodelle oder interne Prozessveränderungen. So bleibt die IT-Landschaft dynamisch und zukunftsfähig.

5. Förderung digitaler Kompetenzen im Unternehmen

Der Einsatz von No-/Low-Code stärkt das digitale Mindset und fördert das Verständnis für IT-gestützte Prozesse. Dies ist ein wichtiger Baustein für die nachhaltige digitale Transformation.

 

Möglicher Einsatz in KMU/Öffentlichen Verwaltungen

  • Automatisierung von Geschäftsprozessen: z. B. Genehmigungs-Workflows, Reisekostenabrechnungen oder Vertragsmanagement
  • Digitale Kundenportale: z. B. für Bestellungen, Serviceanfragen oder Reklamationen
  • Individuelle Reporting-Lösungen: z. B. Dashboards zur Vertriebs- oder Lagersteuerung
  • Integration bestehender Systeme: z. B. ERP, CRM und Buchhaltungssoftware über Schnittstellen

Ein Praxisbeispiel: Digitales Serviceauftragssystem im Maschinenbauunternehmen

Ein mittelständischer Maschinenbauer möchte seinen Serviceprozess modernisieren. Bisher laufen Reparatur- und Wartungsaufträge über E-Mails, Telefonate und Excel-Listen, was zu unklaren Zuständigkeiten, Verzögerungen und fehlender Transparenz führt.

Ziel: Ein zentrales System, über das Serviceaufträge erfasst, priorisiert und an Techniker:innen verteilt werden – inklusive Statusverfolgung und direkter Rückmeldung an Kund:innen.

Umsetzung ohne Programmierkenntnisse

Mit einer Low-Code-Plattform kann das Unternehmen weite Teile des Systems selbst umsetzen:

  • Serviceauftrag-Formular: Per Drag-and-Drop werden Eingabefelder erstellt (Kundendaten, Maschinentyp, Fehlerbeschreibung, Dringlichkeit)
  • Automatische Workflow-Steuerung: Je nach Maschinentyp wird der Auftrag automatisch an den passenden Techniker weitergeleitet
  • Statusverfolgung: Techniker können unterwegs per Smartphone den Auftrag annehmen, Fotos hochladen und den Bearbeitungsstatus ändern
  • Automatische Kundenbenachrichtigung: Kunden erhalten eine E-Mail, wenn der Auftrag gestartet oder abgeschlossen ist

Alles läuft über die visuelle Oberfläche der Plattform – ohne eine einzige Zeile Code.

Punkte, an denen Programmierkenntnisse nötig sind

Trotz der Low-Code-Basis wird an manchen Stellen Fachwissen erforderlich:

  • Speziallogik für Einsatzplanung: Wenn ein Auftrag mehrere Qualifikationen erfordert (z. B. Hydraulik + Elektronik) und automatisch der Techniker mit beiden Fähigkeiten gesucht werden soll, braucht es oft benutzerdefinierte Skripte
  • Integration ins ERP-System: Damit Materialverbrauch und Arbeitszeiten automatisch ins bestehende ERP übernommen werden, muss häufig eine API-Schnittstelle programmiert werden
  • Individuelle PDF-Berichte: Kund:innen sollen einen automatisch generierten Servicebericht mit Firmenlogo und bestimmten Layout-Vorgaben erhalten. Oft erfordert dies serverseitige Skripte oder spezielle Reporting-Templates

Ein Praxisbeispiel: Digitale Urlaubsanträge in einer Stadtverwaltung

Eine Stadtverwaltung möchte ihren Papier-basierten Urlaubsantrag digitalisieren. Ziel ist, dass Mitarbeitende den Antrag online ausfüllen, dieser automatisch an die zuständige Führungskraft weitergeleitet wird und die Personalabteilung die genehmigten Daten direkt ins Zeiterfassungssystem importieren kann.


Aufbau der Anwendung ohne Programmierkenntnisse

Mit einer Low-Code-Plattform kann die Personalabteilung Folgendes weitgehend selbst umsetzen:

  • Formulargestaltung per Drag-and-Drop: Felder für Name, Zeitraum, Grund des Urlaubs, Upload von Nachweisen.
  • Workflow-Definition: Automatische Weiterleitung an die richtige Führungskraft basierend auf Abteilungszuordnung.
  • Benachrichtigungen: Automatische E-Mails bei Genehmigung oder Ablehnung.
  • Einfache Berichte: Monatsübersicht aller genehmigten Urlaube.

All das passiert in einer grafischen Oberfläche – ganz ohne manuell geschriebenen Code.

Stellen, an denen Programmierkenntnisse hilfreich oder notwendig sind

Trotz der visuellen Entwicklung stößt man in der Praxis an Punkte, an denen Custom Code erforderlich wird:

  • Individuelle Geschäftslogik: Wenn z.B. ein Antrag mit mehr als 20 Urlaubstagen gestellt wird, soll er zusätzlich von der Personalchefin freigegeben werden und diese Regel gilt nur für bestimmte Abteilungen. Oft wird hier ein kleines Skript eingebettet.
  • Spezielle Schnittstellenanbindung: Die Integration ins bestehende Zeiterfassungssystem erfordert häufig API-Anbindungen oder Datenbankabfragen, die in SQL oder einer anderen Programmiersprache erstellt werden müssen.
  • Individuelles Frontend-Design: Wenn das Formular z. B. exakt an das Corporate Design angepasst werden soll (eigene CSS-Layouts, Animationen, mobile Optimierungen), braucht es oft zusätzliches Coding.

Herausforderungen und Erfolgsfaktoren

So vielversprechend der Einsatz von Low-Code- und No-Code-Plattformen ist, die Einführung sollte nicht als rein technisches Projekt verstanden werden. Der Erfolg hängt stark davon ab, wie gut die Plattform in die bestehende Organisation eingebettet wird.

Eine zentrale Herausforderung ist die strategische Verankerung. No-/Low-Code sollte nicht als „Einzellösung für eine Abteilung“ ins Unternehmen oder in die Verwaltung geholt werden, sondern als Teil einer übergreifenden Digitalisierungsstrategie. Nur so lassen sich Synergien zwischen verschiedenen Anwendungen nutzen und ein Flickenteppich aus isolierten Einzellösungen vermeiden.

Ebenfalls entscheidend ist eine klare IT-Governance. Auch wenn Fachabteilungen selbst Anwendungen erstellen können, müssen Standards für Datensicherheit, Zugriffskontrolle, Datenschutz und Wartung definiert werden. Besonders im öffentlichen Sektor sind hier klare Vorgaben unverzichtbar, um die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen wie der DSGVO sicherzustellen.

Ein weiterer Erfolgsfaktor ist Schulung und Befähigung der Mitarbeitenden. No-/Low-Code-Plattformen sind zwar einfach zu bedienen, doch die besten Werkzeuge bleiben ungenutzt, wenn die Anwender:innen nicht wissen, wie sie sie optimal einsetzen können. Schulungen, interne Communitys und Praxisbeispiele helfen dabei, Hemmschwellen abzubauen und Kreativität zu fördern.

Darüber hinaus sollte das Thema Change Management nicht unterschätzt werden. No-/Low-Code verändert, wie Anwendungen entstehen und damit oft auch Prozesse und Verantwortlichkeiten. Es ist wichtig, diesen Wandel aktiv zu begleiten, die Vorteile transparent zu kommunizieren und Erfolge sichtbar zu machen.

Schließlich lohnt es sich, klein anzufangen und Pilotprojekte zu nutzen. Ein erster, klar umrissener Anwendungsfall, etwa ein einfacher Genehmigungsprozess oder ein internes Meldesystem, liefert schnelle Erfolgserlebnisse und schafft Akzeptanz. Von dort aus kann der Einsatz schrittweise ausgeweitet werden.

Kurz gesagt: Low-Code ist nicht nur eine Frage der richtigen Plattform, sondern vor allem der richtigen Herangehensweise. Wer klare Ziele definiert, technische Standards einhält, die Mitarbeitenden einbindet und mit überschaubaren Projekten beginnt, legt den Grundstein für eine nachhaltige und erfolgreiche Nutzung.

Fazit

Low-Code- und No-Code-Plattformen sind zweifellos ein Innovationstreiber für die Digitalisierung – sowohl in kleinen und mittleren Unternehmen als auch in öffentlichen Verwaltungen. Sie senken die Einstiegshürden, beschleunigen Entwicklungsprozesse und ermöglichen es, Ideen aus den Fachabteilungen schnell in funktionierende Anwendungen zu verwandeln. Damit demokratisieren sie Softwareentwicklung und schaffen Freiräume, in denen auch ohne tiefes Programmierwissen digitale Lösungen entstehen können.

Gleichzeitig darf man die Schwachstellen nicht übersehen. Komplexe oder hochspezialisierte Anwendungen stoßen in No-/Low-Code-Umgebungen oft an technische Grenzen. Die Anpassung an sehr individuelle Geschäftslogiken oder die nahtlose Integration in gewachsene IT-Landschaften kann aufwendig werden. Auch die Abhängigkeit vom jeweiligen Plattformanbieter und die langfristige Wartbarkeit der Anwendungen sind Punkte, die von Anfang an bedacht werden sollten.

Unter professionellen Entwickler:innen sind die Meinungen geteilt. Viele schätzen No-/Low-Code als wertvolles Werkzeug, um einfache oder standardisierte Anforderungen schneller umzusetzen und die IT zu entlasten. Gleichzeitig gibt es Vorbehalte: Manche sehen in No-/Low-Code eher eine Ergänzung als einen Ersatz für klassische Entwicklung und warnen davor, die Komplexität von Softwareprojekten zu unterschätzen.

Unterm Strich gilt: Wer als KMU heute in No-/Low-Code investiert, investiert nicht nur in Technologie, sondern in Zukunftsfähigkeit. Low-Code- und No-Code-Plattformen sind keine Allzwecklösung, aber ein mächtiger Baustein moderner Digitalstrategien. Ihr Innovationspotenzial entfalten sie besonders dann, wenn sie bewusst eingesetzt werden als Ergänzung zur klassischen Entwicklung, mit klaren Anwendungsfällen, guter Governance und dem Wissen um ihre Grenzen.

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Written by Anja Prill